Europäische Gesellschaft (SE-Recht)Die Europäische Gesellschaft, offiziell Societas Europaea (SE) genannt, ist eine europäische Rechtsform für Kapitalgesellschaften. Sie ermöglicht Unternehmen, in der gesamten Europäischen Union (EU) und dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) unter einer einheitlichen Rechtsstruktur zu operieren. Die rechtlichen Grundlagen der SE sind in der SE-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 2157/2001) und dem SE-Ausführungsgesetz (SEAG) geregelt, das die Verordnung in nationales Recht umsetzt.
1. Definition und Merkmale der SEa) DefinitionDie SE ist eine eigenständige Rechtsform für Kapitalgesellschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit. Sie bietet Unternehmen die Möglichkeit, grenzüberschreitend unter einer europäischen Rechtsform zu agieren und so ihre Geschäftsaktivitäten effizienter zu organisieren. b) Wesentliche Merkmale- Rechtsform: Die SE ist eine Kapitalgesellschaft und entspricht in vielen Aspekten einer Aktiengesellschaft (AG).
- Rechtsfähigkeit: Die SE ist eine juristische Person.
- Kapitalstruktur: Das Grundkapital beträgt mindestens 120.000 Euro (§ 4 SE-VO).
- Grenzüberschreitender Charakter: Die SE ist speziell für Unternehmen konzipiert, die in mehreren EU-Mitgliedstaaten tätig sind.
2. Gründung der SEDie SE kann auf unterschiedliche Weise gegründet werden, wobei ein grenzüberschreitender Bezug stets erforderlich ist. a) Voraussetzungen- Mindestkapital: Das Grundkapital beträgt mindestens 120.000 Euro (§ 4 SE-VO).
- Gründungsmitglieder: Die Gründung setzt die Beteiligung von Unternehmen oder Gesellschaften aus mindestens zwei EU-Mitgliedstaaten voraus.
b) GründungsartenVerschmelzung (§ 2 Abs. 1 SE-VO): - Zwei oder mehr Aktiengesellschaften aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten können eine SE durch Verschmelzung gründen.
- Beispiel: Ein deutsches Unternehmen fusioniert mit einem französischen Unternehmen.
Gründung einer Holding-SE (§ 2 Abs. 2 SE-VO): - Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung aus mindestens zwei EU-Mitgliedstaaten können eine Holding-SE gründen.
Gründung einer Tochter-SE (§ 2 Abs. 3 SE-VO): - Unternehmen oder juristische Personen aus verschiedenen Mitgliedstaaten können eine Tochtergesellschaft in der Form einer SE gründen.
Umwandlung (§ 2 Abs. 4 SE-VO): - Eine Aktiengesellschaft mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat kann sich in eine SE umwandeln, sofern sie seit mindestens zwei Jahren eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat hat.
3. Organe der SEDie SE bietet Unternehmen die Wahl zwischen zwei Führungssystemen: dem monistischen und dem dualistischen System. a) Dualistisches System- Vorstand: Leitet die Gesellschaft und vertritt sie nach außen. Der Vorstand wird vom Aufsichtsrat bestellt (§ 39 SEAG).
- Aufsichtsrat: Überwacht den Vorstand, hat jedoch keine Leitungsfunktion (§ 22 SEAG).
b) Monistisches System- Verwaltungsrat: Übernimmt sowohl Leitungs- als auch Überwachungsaufgaben. Der Verwaltungsrat bestellt geschäftsführende Direktoren für das Tagesgeschäft (§ 43 SEAG).
c) Hauptversammlung- Die Hauptversammlung der Aktionäre ist in beiden Systemen das oberste Entscheidungsorgan. Sie entscheidet über wesentliche Angelegenheiten wie:
- Satzungsänderungen
- Gewinnverwendung
- Bestellung und Abberufung von Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsmitgliedern
4. Rechte und Pflichten der Aktionärea) Rechte- Stimmrecht: Aktionäre haben Stimmrechte in der Hauptversammlung, die in der Regel nach dem Anteil am Grundkapital gewichtet sind.
- Gewinnbeteiligung: Aktionäre haben Anspruch auf Ausschüttung eines Teils des Jahresüberschusses in Form von Dividenden.
- Auskunftsrecht: Aktionäre können Informationen über die Geschäftstätigkeit der SE verlangen.
b) Pflichten- Einlagepflicht: Aktionäre sind verpflichtet, die von ihnen gezeichneten Aktien voll einzuzahlen.
- Treuepflicht: Aktionäre dürfen die Interessen der Gesellschaft nicht bewusst schädigen.
5. Mitbestimmung in der SEDie Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der SE ist ein zentraler Bestandteil der SE-Struktur und unterscheidet sich von Land zu Land. a) Regelung durch Vereinbarung- Vor der Gründung der SE müssen die beteiligten Unternehmen eine Vereinbarung über die Arbeitnehmerbeteiligung treffen (§ 21 SEBG). Dazu gehört die Vertretung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat oder Verwaltungsrat.
b) Auffangregelung- Wird keine Vereinbarung getroffen, gelten nationale Auffangregelungen, die z. B. die Mitbestimmung nach deutschem Mitbestimmungsgesetz vorsehen (§ 34 SEBG).
6. Vorteile und Nachteile der SEVorteile- Europäisches Erscheinungsbild:
- Die SE ermöglicht Unternehmen, als europäische Einheit aufzutreten und so eine stärkere internationale Wahrnehmung zu erzielen.
- Flexibilität:
- Unternehmen können zwischen monistischer und dualistischer Leitungsstruktur wählen.
- Vereinfachte grenzüberschreitende Struktur:
- Die SE erleichtert Fusionen und Umstrukturierungen innerhalb der EU.
- Steuerliche Vorteile:
- Durch Sitzverlagerung oder Holding-Strukturen können steuerliche Optimierungen erreicht werden.
Nachteile- Hohe Gründungskosten:
- Die Gründung einer SE ist kosten- und zeitintensiv, da mehrere rechtliche und steuerliche Anforderungen erfüllt werden müssen.
- Komplexe Mitbestimmung:
- Die Regelungen zur Arbeitnehmermitbestimmung können aufwendig sein und die Flexibilität einschränken.
- Mindestkapital:
- Das Grundkapital von 120.000 Euro ist für kleinere Unternehmen eine Hürde.
7. Typische Anwendungsbereiche der SE- Großunternehmen: Unternehmen wie Allianz SE und BASF SE nutzen die SE, um eine einheitliche Struktur für ihre europäischen Tochtergesellschaften zu schaffen.
- Holdinggesellschaften: Viele Unternehmen gründen eine SE, um ihre Tochtergesellschaften in verschiedenen Ländern unter einem Dach zu vereinen.
- Fusionen: Die SE erleichtert grenzüberschreitende Verschmelzungen innerhalb der EU.
8. Beendigung der SEa) Auflösungsgründe- Beschluss der Hauptversammlung: Die SE kann durch Beschluss der Hauptversammlung aufgelöst werden (§ 47 SEAG).
- Insolvenz: Die SE wird aufgelöst, wenn das Insolvenzverfahren eröffnet wird.
- Verlegung des Sitzes außerhalb der EU: Eine SE kann ihren Sitz nur innerhalb der EU oder des EWR haben (§ 8 SE-VO).
b) Liquidation- Nach der Auflösung erfolgt die Liquidation, bei der alle Verbindlichkeiten beglichen und das verbleibende Vermögen verteilt werden (§ 93 AktG analog).
9. Relevante Urteile und rechtliche Besonderheitena) Sitzverlegung- EuGH, Urteil „Cartesio“ (C-210/06):
- Eine SE kann ihren Sitz innerhalb der EU verlegen, ohne ihre Rechtspersönlichkeit zu verlieren.
b) Mitbestimmung- EuGH, Urteil „Konfliktfall Mitbestimmung“ (C-566/15):
- Die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer müssen bei der Gründung und Strukturierung der SE beachtet werden.
10. Unsere Leistungen im SE-Recht- Gründung: Beratung und Unterstützung bei der Wahl der passenden Gründungsart und der Erstellung der Satzung.
- Mitbestimmung: Unterstützung bei Verhandlungen zur Arbeitnehmerbeteiligung und Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben.
- Umstrukturierung: Begleitung von grenzüberschreitenden Fusionen und Sitzverlagerungen.
- Compliance: Beratung zur Einhaltung europäischer und nationaler Vorschriften.
Die SE ist eine flexible und international ausgerichtete Rechtsform, die Unternehmen erhebliche Vorteile bietet, insbesondere im grenzüberschreitenden Geschäft. Sie erfordert jedoch eine sorgfältige Planung und rechtliche Expertise, um die komplexen Anforderungen zu erfüllen. Mit unserer Erfahrung im SE-Recht unterstützen wir Sie bei jedem Schritt – von der Gründung bis zur erfolgreichen Führung Ihrer Europäischen Gesellschaft.
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